Neben dem Feedbackgespräch ist das Jahresgespräch ist für viele Unternehmen ein fester Bestandteil der Personalentwicklung – und gleichzeitig eine Herausforderung für Führungskräfte und Mitarbeitende. Es bietet die Chance, Leistung zu bewerten und zu beurteilen, Ziele zu setzen und die Weichen für das kommende Jahr zu stellen.
Doch oft verpufft das Potenzial dieser Gespräche, weil typische Fehler gemacht werden. Anstatt die Mitarbeitenden zu motivieren und die Mitarbeiterentwicklung voranzutreiben, hinterlässt ein schlecht geführtes Jahresgespräch häufig Frust und Unklarheiten.
Woran liegt das? In diesem Artikel beleuchten wir die größten Fehler, die Vorgesetzte, Chefs und Chefinnen bei Jahresgesprächen machen – und wie sie vermieden werden können, um echte Fortschritte und positive Veränderungen zu bewirken.
1. Mangelnde Vorbereitung vor dem Jahresgespräch
Starten wir mit einem Fehler, den viele Führungskräfte bereits vor dem eigentlichen Beginn des Jahresgesprächs begehen: unzureichende Vorbereitung. Oft wird das Gespräch kurzfristig angesetzt oder als reine Formalität betrachtet, ohne dass genügend Zeit in die Vorbereitung investiert wird. Dies kann jedoch schwerwiegende Folgen haben – sowohl für die Leistungsbeurteilung als auch für die Mitarbeiterentwicklung.
Wenn Führungskräfte sich nicht ausreichend mit den Leistungen der Mitarbeitenden im vergangenen Jahr auseinandersetzen, fehlt die Grundlage für eine fundierte Beurteilung.
Dies führt oft dazu, dass Rückmeldungen ungenau oder vage ausfallen. Aussagen wie „Du hast gut gearbeitet“ oder „Du musst mehr Initiative zeigen“ helfen wenig, weil sie zu allgemein und ohne konkrete Beispiele sind. Eine solide Leistungsbeurteilung erfordert es jedoch, auf spezifische Projekte, Aufgaben und Herausforderungen einzugehen. Nur so können Mitarbeitende nachvollziehen, was gut lief und wo Verbesserungspotenzial besteht.
Noch problematischer ist, dass eine unzureichende Vorbereitung auch die langfristige Mitarbeiterentwicklung behindert. Jahresgespräche bieten die einmalige Gelegenheit, nicht nur die bisherige Leistung zu bewerten, sondern auch Zukunftsperspektiven zu eröffnen und Entwicklungsziele zu setzen.
Wenn der Manager jedoch unvorbereitet ist, fehlen oft klare Ideen und Vorschläge, wie der Mitarbeitende in seiner Rolle wachsen kann. Dadurch wird die Chance verpasst, die berufliche Entwicklung gezielt zu fördern und Potenziale voll auszuschöpfen.
Aber Achtung: Die Verantwortung liegt hier nicht allein bei der Führungskraft. Auch Mitarbeitende sollten sich gründlich auf das Gespräch vorbereiten, Selbstreflexion betreiben und überlegen, welche Punkte sie ansprechen und wo sie sich hin entwickeln wollen. Nur so bietet das Jahresgespräch einen Mehrwert.
2. Die Auswahl der Fragen im Jahresgespräch
Die Art und Weise, wie und welche Fragen im Jahresgespräch gestellt werden, hat einen großen Einfluss auf den Verlauf und Nutzen des Gesprächs. Häufig sind Fragen zu oberflächlich, zu einseitig oder zu konfrontativ, es ergibt sich kein richtiges Gespräch, Mitarbeitende fühlen sich angegriffen oder missverstanden.
Folgende Kategorien von Fragen sollten daher unbedingt vermieden werden:
Zu allgemeine Fragen
Ist eine Frage zu allgemein gestaltet, lädt sie nur zu oberflächlichen Antworten ein. Mitarbeitende könnten sich schwer tun, konkrete Punkte zu benennen und die Antwort bleibt oft unklar. Häufig sind diese Fragen auch in geschlossener Form gestellt, sie lassen sich also mit “ja” oder “nein” beantworten und laden nicht zum Dialog ein. Zu diesen allgemeinen Fragen zählen zum Beispiel:
- Gibt es ein Problem?
- Bist du zufrieden mit deiner Arbeit?
- Hast du noch andere Vorschläge?
- Gibt es etwas, das du ändern würdest?
Zu private Fragen
Natürlich darf und sollte man als Führungskraft seine Mitarbeitenden fragen, wie es ihnen geht. Fragen, die allerdings zu sehr ins Privatleben eingreifen oder unangemessen intime Themen berühren, sollten unbedingt vermieden werden. Sie schaffen Unbehagen und sind oft irrelevant für die berufliche Leistung. Dazu zählen beispielsweise:
- Hast du private Probleme, die deine Arbeit beeinflussen?
- Warum bist du so oft krank?
- Möchtest du Kinder/ eine Familie gründen?
Konfrontative Fragen
Diese Fragen klingen aggressiv oder vorwurfsvoll und führen dazu, dass Mitarbeitende in einen Rechtfertigungsmodus verfallen und sich verteidigen müssen, anstatt offen und ehrlich über ihre Leistung oder Entwicklung zu sprechen. Sie fördern eine defensive Haltung und behindern konstruktive Diskussionen. Konfrontative Fragen sind zum Beispiel:
- Warum hast du deine Ziele nicht erreicht?
- Glaubst du, du hättest mehr tun können?
- War das der einzige Grund, warum (...) nicht geklappt hat?
Suggestivfragen
Diese Fragen lenken die Antwort von Mitarbeitenden in eine bestimmte Richtung, indem sie eine bestimmte Annahme implizieren. Sie geben den Mitarbeitenden wenig Raum, ehrlich oder offen zu antworten. Zu den Suggestivfragen zählen unter anderem:
- Du verstehst dich doch sicher gut mit allen im Team, oder?
- Du siehst sicher selbst, dass das nicht gut gelaufen ist?
- Das war doch keine große Herausforderung für dich?
Die passenden Fragen fürs Jahresgespräch
Welche Fragen gehören also stattdessen ins Jahresgespräch? Vor allem solche, die konstruktiv und lösungsorientiert sind und eine offene Kommunikation fördern, ohne Mitarbeitende in die Defensive zu drängen.
Die richtigen Fragen helfen dabei, herauszufinden, was Mitarbeitende beschäftigt, welche Herausforderungen es gibt und wie eine langfristige Unterstützung gelingen kann. Dazu zählen folgende Kategorien:
Leistungsbeurteilung und Zielerreichung
- Was waren die größten Hindernisse bei der Erreichung deiner Ziele?
- Welche Erfolge hast du in diesem Jahr erreicht, und wo siehst du noch Verbesserungspotenzial?
- Gibt es spezifische Bereiche, in denen du Unterstützung brauchst, um deine Ziele besser zu erreichen?
Proaktives Verhalten und Engagement
- Gibt es Möglichkeiten, wie du in deiner Rolle noch proaktiver handeln kannst?
- Was hat dich motiviert, dich in diesem Jahr besonders für bestimmte Projekte einzusetzen?
- Welche Unterstützung könntest du gebrauchen, um deine Ideen oder Vorschläge besser einbringen zu können?
Zusammenarbeit und Teamwork
- Wie siehst du die Zusammenarbeit im Team, und wo können wir sie noch verbessern?
- Gibt es etwas, das die Teamarbeit für dich erleichtern würde?
- Was war für dich besonders positiv an der Zusammenarbeit mit deinen Kolleg:innen, und wo siehst du Herausforderungen?
Mitarbeiterentwicklung, Lernmöglichkeiten und Karriereplanung
- Welche neuen Fähigkeiten oder Kenntnisse möchtest du im kommenden Jahr erwerben?
- Gibt es Entwicklungsbereiche, in denen du gerne mehr Unterstützung hättest?
- Welche Weiterbildungsmöglichkeiten könnten dich in deiner beruflichen Entwicklung voranbringen?
- Welche beruflichen Ziele hast du für das kommende Jahr?
- Wie zufrieden bist du mit deiner aktuellen Rolle, und gibt es etwas, das wir verbessern könnten?
Kommunikation und Feedback
- Wie empfindest du die Kommunikation im Team? Gibt es Bereiche, die wir verbessern können?
- Wie kann ich dir als Vorgesetzter besseres Feedback geben?
- Was hilft dir, besser über Herausforderungen oder Probleme zu sprechen?
3. Emotionen von Mitarbeitenden ignorieren
Mitarbeitergespräche sind nicht nur fachlicher Natur – auch emotionale Faktoren spielen eine Rolle. Ein häufiger Fehler ist es, Emotionen entweder nicht wahrzunehmen oder bewusst zu ignorieren. Doch gerade diese emotionalen Signale geben wertvolle Hinweise auf das Befinden und die Motivation des Mitarbeitenden.
Wenn Vorgesetzte Emotionen nicht beachten oder sie als nebensächlich abtun, riskieren sie, wichtige Signale zu übersehen, die sich auf die Leistung und Zufriedenheit der Mitarbeitenden auswirken.
Eine Möglichkeit, Emotionen gezielt zu erkennen und zu adressieren, besteht darin, sie im Gespräch bewusst zu reflektieren. Vorgesetzte sollten nicht nur auf das Gesagte achten, sondern auch auf nonverbale Signale wie Mimik, Gestik oder Tonfall. Wird eine emotionale Reaktion wahrgenommen, ist es ratsam, diese zu thematisieren, um Missverständnissen vorzubeugen und den Mitarbeitenden das Gefühl zu geben, dass ihre Emotionen ernst genommen werden.
4. Unrealistische Erwartungen im Jahresgespräch setzen
Unrealistische Ziele und Erwartungen können für Mitarbeitende demotivierend und frustrierend sein. Oft wird der Fehler gemacht, ambitionierte Ziele zu setzen, ohne die individuellen Möglichkeiten und Ressourcen der Mitarbeitenden realistisch einzuschätzen. Solche Erwartungen können das Gegenteil dessen bewirken, was man erreichen möchte.
Sie können das Gefühl erzeugen, dass es unmöglich ist, den Anforderungen gerecht zu werden, was zu Stress, Burnout und einer Abnahme der Arbeitsqualität führen kann. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, dass die gesteckten Ziele außer Reichweite sind, sinkt die Bereitschaft, sich für diese Ziele zu engagieren. Statt positiver Ergebnisse führt dies oft zu Frustration und Demotivation.
Faktoren für unrealistische Erwartungen
Unrealistische Erwartungen können auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein:
- Fehlende Kenntnis der Fähigkeiten von Mitarbeitenden: Wenn die Stärken und Schwächen von Mitarbeitenden nicht ausreichend bekannt oder falsch eingeschätzt werden, werden die Ziele oft zu hoch oder zu niedrig angesetzt.
- Externer Druck: Führungskräfte stehen häufig unter Druck von höheren Ebenen oder von Unternehmenszielen, was dazu führen kann, dass sie diesen Druck unreflektiert an ihre Mitarbeitenden weitergeben.
- Unklare Ressourcenplanung: Unrealistische Erwartungen entstehen oft, wenn nicht klar ist, welche Ressourcen zur Verfügung stehen, sei es in Bezug auf Zeit, Budget oder personelle Unterstützung.
- Zu wenig Feedback: Wenn Führungskräfte nicht regelmäßig Feedback geben, oder das Gespräch als Einbahnstraße betrachten, sind sie oft nicht in der Lage, den tatsächlichen Fortschritt und die Belastbarkeit der Mitarbeitenden richtig einzuschätzen.
5. Feedback als Einbahnstraße betrachten
Ein häufiges Missverständnis in Mitarbeitergesprächen ist, dass Feedback nur von oben nach unten gegeben wird. Dabei ist es genauso wichtig, dass auch Mitarbeitende die Möglichkeit haben, Rückmeldung zu geben. Ein einseitiger Feedback-Prozess führt dazu, dass Potenziale für Verbesserungen auf beiden Seiten ungenutzt bleiben.
Wie kann Feedback in beide Richtungen gelingen?
💡 Eine sichere Umgebung schaffen
Es ist entscheidend, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Mitarbeitende sich sicher fühlen, Feedback zu geben, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Dies kann durch ein vertrauensvolles Verhältnis zur Führungskraft und eine offene, transparente Unternehmenskultur unterstützt werden. Führungskräfte sollten aktiv zeigen, dass sie Feedback willkommen heißen und dafür dankbar sind.
💡 Feedback-Methoden strukturieren
Strukturiertes Feedback, das auch über das Jahresgespräch hinaus geht – etwa in Form von regelmäßigen Mitarbeiterumfragen, Feedback-Bögen oder 360-Grad-Feedback-Ansätzen – kann den Prozess formalisieren und Mitarbeitenden eine klarere Struktur bieten. Diese Tools ermöglichen es, Feedback auf eine weniger persönliche und emotional aufgeladene Weise zu geben, was es vielen erleichtert, ihre Meinung offen zu teilen.
💡 Feedback umsetzen und sichtbar machen
Es ist nicht nur wichtig, Feedback zu empfangen, sondern auch darauf zu reagieren. Mitarbeitende müssen sehen, dass ihre Rückmeldungen ernst genommen und in Verbesserungen umgesetzt werden. Das stärkt das Vertrauen und die Bereitschaft, auch in Zukunft Feedback zu geben. Führungskräfte sollten regelmäßig reflektieren, welche Änderungen sie aufgrund des Mitarbeitenden-Feedbacks vorgenommen haben.
💡 Schulungen für Mitarbeitende und Führungskräfte
Sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte können durch Schulungen und Workshops lernen, wie konstruktives Feedback vermittelt werden kann, ohne dass es als Kritik an der Person empfunden wird. Auch das Annehmen und Reflektieren von Feedback kann erlernt werden.
6. Fehlende Zielsetzungen und Follow-Up
Zu guter Letzt bleibt die Frage, was eigentlich nach dem Mitarbeitergespräch passiert. Nicht selten wird das Feedback nach dem Austausch einfach stehen gelassen – ohne konkrete Zielvereinbarungen zur Mitarbeiterentwicklung.
Fehlen Entscheidungen darüber, welche Schritte Mitarbeitende in Zukunft gehen sollen, bleibt das Gespräch oft ohne nachhaltige Wirkung. Gerade nach der Besprechung von Stärken, Schwächen und Entwicklungsmöglichkeiten ist es entscheidend, gemeinsam messbare und realistische Ziele zu formulieren. Doch genauso wichtig wie die Zielvereinbarung ist die kontinuierliche Nachverfolgung dieser Ziele.
Hier spielt das Mitarbeitergespräch Protokoll eine zentrale Rolle. Ein solches Protokoll dokumentiert nicht nur die besprochenen Punkte, sondern auch die festgelegten Maßnahmen und Ziele. Es dient als Referenz für künftige Gespräche und ermöglicht es beiden Seiten, den Fortschritt zu überwachen. Ohne ein gut geführtes Protokoll der Mitarbeitergesprächs besteht die Gefahr, dass wichtige Vereinbarungen in Vergessenheit geraten und die Mitarbeiterentwicklung stagniert.
Darüber hinaus sollte nach dem Mitarbeitergespräch ein regelmäßiger Austausch stattfinden, um sicherzustellen, dass die gesetzten Ziele auch wirklich verfolgt werden und bei Bedarf Anpassungen vorgenommen werden können.
Ein Gespräch ohne klaren Fahrplan für die Zukunft und ohne Follow-Up ist oft eine vertane Chance – sowohl für die persönliche Entwicklung von Mitarbeitenden als auch für den langfristigen Erfolg des Unternehmens.
*Hinweis: Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in diesem Beitrag auf die gegenderte Form des Begriffs "Mitarbeiterentwicklung" verzichtet.